Die Zukunft des urbanen Wohnens

Die Zukunft des urbanen Wohnens

30. September 2020 · Dettlings Kolumne

Eine neue Bewegung setzt auf Micro-Living und Nachbarschaften. Die Immobilienpreise und Mieten für Wohnungen steigen auch nach Corona in den großen Städten weiter. Eine Ursache ist vor allem die enorme Zunahme von Single-Haushalten.

Auch die Zahl der älteren Menschen wird wachsen. Die großen Städte Europas werden zu Orten von Singles und Senioren. Das hat Folgen für das Wohnen und den Zusammenhalt. Die Nachfrage nach kleineren Wohneinheiten und gemeinschaftlichem Wohnen wird steigen. Innovative und ungewöhnliche Antworten sind gefragt.

Tiny-Living setzt auf flexibles Co-Wohnen

Mehr Singles und Senioren führen zu neuen sozialen Herausforderungen: Die Einsamkeit nimmt vor allem unter den Jüngeren und den Älteren zu. Betroffen sind Studien zufolge vor allem die um die 30-Jährigen und die über 80-Jährigen. Wohnen wird zur doppelten sozialen Frage: neben bezahlbaren Mieten geht es um attraktive Quartiere und Nachbarschaften. Gefragt sind soziale und ökologisch nachhaltige Innovationen. Eine Antwort auf den Trend der Single-Haushalte ist verdichtetes und vernetztes Wohnen. „Tiny-Living“ begann als Trend in den 90er Jahren in den USA. Es geht um kleine, flexible Wohneinheiten mit großer Lebensqualität. Die Generationen Y und Z, aber auch die Babyboomer wollen anders wohnen und leben. Ihnen geht es um mehr Gemeinschaft, Sharing-Angebote, Möglichkeiten, etwas zu teilen. Aus Büros wird Co-Working, aus Autobesitz Co-Mobility, aus Gärtnern Co-Gardening und aus Küchen und Wohnzimmern Co-Living.

In Hannover entsteht Europas größte Siedlung für ökologisches, minimalistisches und inklusives Wohnen. Das basisdemokratische Projekt setzt vor allem auf drei Zielgruppen: „Junge Radikale“, die reduziert leben wollen. Senioren, die Einsamkeit oder Altersarmut vermeiden wollen und die mittlere Generation, die auf der Suche nach einer neuen Balance von Selbstbestimmung und Gemeinschaft sind. Im „Ecovillage“ sollen rund 500 Einheiten für bis zu tausend Bewohner entstehen. Das Projekt ist als Genossenschaft organisiert, Sozialwohnungen machen das Projekt aufgrund der staatlichen Förderung nicht nur günstiger, sondern auch multikulturell und inklusiv. Verhindert werden soll, dass Gutverdiener günstig an eine Eigentumswohnung kommen. Das neue urbane Bauen reagiert auf ein neues Bedürfnis der Stadtbewohner: Teilen statt Eigentum. Ihre neuen Organisationsformen sind sehr alte: Genossenschaften und Gemeinschaften.

Menschen verbinden, die nicht zusammengehören

Damit setzt sich die Idee der Circular City durch: Menschen und Dinge zu verbinden, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören. Es geht um sozialen Austausch und um die Weiter- und Wiederverwendung von Dingen. Der „Clash of Spaces“ zwischen den unterschiedlichen Lobby-Gruppen (Wohnbau, Kleingärtner, Tourismus) soll vermieden werden, indem das Ziel „Weniger Raum, mehr Lebensqualität“ konsequent umgesetzt wird. Aus Bewohnern werden Nachbarn. Gemein ist den neuen Projekten, dass es ihnen nicht in erster Linie um „gutes Wohnen“, sondern um den Aufbau guter Nachbarschaften geht. Bisherige Wohnkonzepte sind introvertiert und nach innen gerichtet und wollen die äußere Welt in der privaten Wohnung abbilden: „Meine Garage, mein Auto, meine Familie, mein Garten.“ Die neuen Konzepte sind eine Antwort auf das Bedürfnis nach Nachbar- und Gemeinschaft und den Trend, die Welt zu erobern, indem man die eigenen vier Wände verlässt.

Eine neue Bauhaus-Bewegung?

Vor 100 Jahren stellte sich die Bauhaus-Bewegung der Frage, wie Gebäude designt sein sollen, damit sie einen sozialen Dienst an der Gesellschaft leisten. Heute geht es um Lösungen, welche die urbane Infrastruktur miteinbeziehen. Auf 15 bis 20 Quadratmetern im Stadtraum zu wohnen funktioniert nur, wenn es gut ausgestattete Bibliotheken, Räume der Begegnung und Angebote zum Teilen gibt. Co-Living wird zum neuen Wohnmodell, nicht nur für Studierende und junge Leute. Populärer werden auch WGs für Berufstätige und Ältere sowie Mehrgenerationenhäuser. Alters-WGs verbinden das Bedürfnis der Älteren, möglichst lange in den eigenen vier Wänden und nicht in einem Heim zu leben, mit der Notwendigkeit, sie gut und effizient zu betreuen. Unterstützt werden die WGs durch technologische Fortschritte im Bereich des Ambient Assisted Living (AAL) und des Smart Home. Langfristig lösen Alters-WGs die Altenheime ab.

Cluster-Living: alleine Wohnen innerhalb einer Gemeinschaft

Das neue gemeinwohlorientierte Wohnen richtet sich nicht nur an Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen wie der traditionelle soziale Wohnungsbau, sondern an alle sozialen Milieus und Lebensstile. Der Erfolg der neuen Projekte und Quartiere liegt im „Cluster-Living“: alleine Wohnen innerhalb einer Gemeinschaft. Es ist erst die Vielfalt an Wohn- und Lebensformen, die eine Großstadt lebenswert und attraktiv macht. „Die Menschen, nicht die Häuser machen die Stadt“ sagte Perikles, als vor mehr als 2000 Jahren die Akropolis in Athen neu bauen ließ. Beim Bau von Wohnungen geht es immer auch um Beziehungen. Nachbarschaften und Gemeinschaften entstehen, wenn sie gelingen.

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