Bis 2050 wird sich das Klima weltweit um zwei Grad erwärmen, lautet Ihre Prognose. Egal, was wir jetzt unternehmen?
Leider ja. Das Klimasystem ist sehr träge, zum Beispiel in den Ozeanen und den Eismassen. Kohlendioxid hat mit bis zu 1.000 Jahren in der Atmosphäre eine lange Lebensdauer. Das heißt: Den Großteil der Erwärmung, die wir Mitte des Jahrhunderts bekommen, haben wir längst ausgelöst. Negativ gesehen können wir somit bis 2050 nichts mehr viel machen. Ich würde es aber positiv formulieren: Wir können das Klima noch auf dem Niveau von 2050 stabilisieren. Entweder bleiben wir bei ungefähr 2 Grad Erhitzung oder wir bekommen einen Runaway-Klimawandel mit einer viel stärkeren Erwärmung.
Dann sind 2 Grad mehr der best und sechs Grad der worst case?
Genau, das sind die Projektionen. 6 Grad sind nicht sehr wahrscheinlich, wir sollten dieses Szenario aber nicht ausschließen. Selbst wenn wir heute den gesamten Ausstoß von Co2 auf Null senken können, würden wir den Effekt erst im Jahr 2033 merken. Die vollen Effekte des Umstiegs auf regenerative Energien werden erst nach 2050 einsetzen. Das Klima lässt sich mit einem alten Elektroherd vergleichen, der langsam hochfährt und immer noch lange nach dem Ausschalten glüht. So zögerlich ist die Reaktion des Klimasystems. Je schneller wir den Schalter auf Null drehen, umso schneller gelingt es, die Erwärmung zu stoppen.
Was sind die Folgen für die Städte, in denen die meisten Menschen leben?
Die Hitzebelastung wird sich vor allem in den Städten abspielen. Städte heizen sich stärker auf als das Umland, dort sind die Folgen des Klimawandels sind daher noch um einiges heftiger. Dachgeschosse zum Beispiel werden in Zukunft so überhitzen, dass sie kaum mehr nachgefragt sind und an Wert verlieren. Berlin wird ungefähr das Klima von Toulouse bekommen, München wird Mailand, Madrid wird Marrakesch. Wir müssen unsere Städte umbauen und grüner gestalten, denn Grünflächen haben eine kühlende Wirkung. Die Konzepte sind seit Jahren bekannt. Wir müssen schnell und drastisch runter mit den Emissionen und lernen, uns an das Klima anzupassen. Architektonisch bedeutet das: Die Wände werden dicker und die Fenster kleiner.
Können wir uns den Klimaschutz wirtschaftlich leisten? Es geht um Billionensummen.
Die Klage lautet meist „Klimaschutz ist schlecht für die Wirtschaft.“ Das Gegenteil ist richtig: Fehlender Klimaschutz wird ein Riesenproblem für die Wirtschaft. Weltweit wird durch den Klimawandel die Arbeitsproduktivität sinken. Lieferketten werden durch mehr Extremwetter häufiger unterbrochen, die weltweite Produktion wird unkalkulierbarer und damit teurer.
Werden die digitalen Nomaden und Expats in Zukunft in den Norden fliehen und sich dort niederlassen?
Wir werden uns jedenfalls nach Regen und kühlen Temperaturen sehnen. Dauerhaft heiße Temperaturen halten die meisten Europäer nicht aus. Im Norden Europas wird der Klimawandel noch am ehesten auszuhalten sein. Aber auch im Norden werden Naturkatastrophen wie Waldbrände zunehmen. An den Küsten werden die Meeresspiegel langfristig steigen.
Viele fürchten aufgrund des Klimawandels neue Migrationsströme. Wohin zieht es die Millionen Klimaflüchtlinge?
Klar, es wird mehr Migration aufgrund des Klimawandels geben. Bislang findet Migration mehr in den Nachbarregionen der Herkunftsländer statt. Die große Mehrheit wird sich wohl auch künftig nicht auf den Weg nach Europa machen. Die indirekten Folgen werden wir dennoch spüren und sind ökonomisch gravierender. Viele Regionen werden instabiler und unsicherer. Exportländer wie Deutschland werden das deutlich merken, weil in den scher getroffenen Regionen die Nachfrage nach ihren Produkten sinken wird.
Wo werden Sie selbst im Jahr 2050 leben?
Keine Ahnung. Wenn ich dann noch in Berlin wohne, dann sicher nicht in einer Penthouse-Wohnung, sondern am besten im Erdgeschoss oder in der Beletage einer Altbauwohnung.
Toralf Staud (48) studierte Journalistik und Philosophie in Leipzig und Edinburgh. Mit Nick Reimer ist er Autor des Buches „Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird.“ (Kiepenheuer & Witsch, 2021)