Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Zukunft der Arbeitswelt?
Sie ist ein Evolutionsbeschleuniger. Bereits vorhandene Entwicklungen – wie etwa Homeoffice – wurden verstärkt, andere Themen – wie beispielsweise Gesundheit am Arbeitsplatz – haben völlig neuen Schwung und Energie bekommen. Und letztlich wurde auch eine Diskussion befeuert, die uns in den kommenden Jahren aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung noch viel beschäftigen wird, nämlich: Was macht gute Arbeit aus, und welche Rolle spielt der Mensch darin?
Werden wir nach Corona noch in Büros arbeiten?
Aber ja! Schon vor Corona war die Sorge, dass durch Homeoffice das Büro seinen Wert verliert, völlig unbegründet. Die Spontantransformation der Arbeit hat ja nicht nur unsere Fähigkeit befeuert, aus dem Homeoffice zu arbeiten — sie hat auch sehr deutlich bewusst gemacht, was wir am Büro vermissen. Das Büro ist eben nicht nur ein Ort, an den man zum Arbeiten fährt, weil es keine anderen Orte dafür gäbe, sondern auch ein Sozialsystem. Und: Raum ist eine entscheidende Komponente für das Gelingen sehr menschlicher Prozesse, wie etwa Kreativität, aber auch Konfliktlösung. Wir werden also auch morgen noch in Büros arbeiten, aber es hat sich wohl eine neue Sensibilität dafür entwickelt, was ein Büro leisten muss.
Nicht allen Unternehmen ist die Umstellung auf Homeoffice gut gelungen. Woran sind diese gescheitert und was machen andere besser?
Es gibt drei Handlungsebenen, die aufeinander aufbauen: Zunächst braucht es die passenden Werkzeuge und Infrastrukturen. Mobile Devices, stabile und leistungsstarke Internetleitungen, Software, die den sicheren Zugriff auf Unternehmensdaten möglich macht – aber auch so einfache Dinge wie Kopfhörer, damit neben den zu Hause herumtollenden Kindern an vernünftiges Arbeiten zu denken ist.
Zweitens, die Kenntnis über die Nutzung dieser Infrastruktur. Die zahllosen Quick-Ratgeber, die im Frühsommer durch alle Medien geschwirrt sind, haben es ja gezeigt: Wie halte ich ein Online Meeting ab? Welche Spielregeln erweisen sich bei Videokonferenzen als zielführend? Hinzu kommen rechtliche und organisatorische Kenntnisse: Sind unsere Unternehmensprozesse weitgehend papierlos strukturiert und unabhängig von der physischen Anwesenheit der Beteiligten? Und schließlich, als dritter und wichtigster Faktor: Die passende Unternehmenskultur und vor allem Einstellung von Führungskräften. Es hat sich nicht nur sehr deutlich gezeigt, wie vertraut die leitenden Mitarbeiter mit Themen wie Remote-Management sind, sondern vor allem deren normative Qualitäten: Vertrauen, Ergebnisorientierung, Toleranz. Bei den erfolgreichen Unternehmen wurde sehr deutlich, dass Führung tatsächlich eine Dienstleistung ist – an den Menschen, die für das Unternehmen arbeiten und die besonders in herausfordernden Zeiten vor allem Unterstützung brauchen.
Die Gewerkschaften fordern als Maßnahme gegen Entlassungen die 4-Tage-Woche. Ist das ein Modell für die Bewältigung der Krise?
Es braucht wohl ein Bündel an Maßnahmen, die Arbeitswelt war ja schon vor Corona stark im Wandel. Jetzt würden sich Chancen bieten, mit dem breiten Pinsel die Arbeitswelt der nächsten Jahrzehnte zu gestalten. Ob das gelingt, wird stark davon abhängen, ob die Lust an der Weiterentwicklung größer ist als die Sehnsucht nach dem Wiederherstellen des sogenannten Normalzustands. Ich würde mir wünschen, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass wir der Krise den Charakter der Katastrophe nehmen müssen, und stattdessen über einen neuen Aufbruch nachdenken und mutige Schritte setzen. Da gehört die Frage der Arbeitszeitverkürzung auch langfristig dazu – Stichwort Digitalisierung – aber im gleichen Atemzug natürlich jene nach einer fairen Entlohnung und vor allem auch die zentrale Frage: Was macht gute Arbeit aus?
Konkret – Welche Jobs werden wichtiger und besser bezahlt?
Mittelfristig laufen uns die Maschinen ja in zwei Themenfeldern den Rang ab: Einerseits überall dort, wo Routine am Werk ist, bei repetitiven Tätigkeiten, die in der Tat nur eine geringe zusätzliche Wertschöpfung bringen. Das sind heutzutage bei weitem nicht mehr die manuellen Tätigkeiten etwa in der Fertigung – dort hat die Automatisierung ja schon längst Einzug gehalten, sondern vor allem in der mittel- und niedrig-qualifizierten Büroarbeit. Und andererseits, das mag für so manche noch stärker irritierend sein, bei kognitiven, analytischen Tätigkeiten. Wenn’s ums Ausrechnen, Vergleichen von Zahlen, Daten, Fakten geht, sind uns die Maschinen bald überlegen. Ich halte das für eine frohe Botschaft, weil sie uns Menschen näher zu urmenschlichen Tätigkeiten bringt: Wir sind soziale und kreative Wesen, und alle Berufe, bei denen diese beiden Eigenschaften im Mittelpunkt stehen, haben mehr denn je Zukunft. So paradox es klingt: Die kühle Logik der Digitalisierung ist eine zutiefst sinnliche Botschaft: Wenn die Maschinen immer bessere Maschinen werden, dann dürfen wir Menschen immer bessere Menschen werden.
Was bedeutet Corona für Dienstreisen und große Events?
Ich würde sagen, die Tatsache, dass der Videokonferenz-Anbieter Zoom mittlerweile mehr wert ist, als die größten sieben Fluglinien zusammen, ist eine ganz gute Indikation. Natürlich werden wir auch in Zukunft noch Kongresse haben, und große Events, und vermutlich werden wir uns mehr denn je darauf freuen. Aber der Unsinn, für ein x-beliebiges 2-Stunden-Meeting quer durch Europa zu fliegen, hat wohl dauerhaft sein Ende gefunden. Die Umwelt und das Familienleben werden es uns danken.
Vermissen Sie persönlich etwas aus der Zeit „vor Corona“?
Mir fehlt vor allem die Sorglosigkeit im Umgang mit anderen Menschen – etwas, das digitale Medien nicht ersetzen können und hoffentlich bald wieder möglich sein wird.
Franz Kühmayer arbeitet am Zukunftsinstitut und berät führende Unternehmen und öffentliche Institutionen. Der Österreicher publiziert regelmäßig und betreibt den beliebten Podcast „Blick nach vorne“. (http://podcast.franzkuehmayer.com)