Nach Berechnungen der OECD führt bereits der Verlust von einem Drittel Schuljahr zu einer Einbuße von drei Prozent des späteren Lebenseinkommens. Bis zum Ende des Jahrhunderts würden sich die Verluste auf Hunderte Milliarden Euro summieren, so OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei der Vorstellung des Studie „Bildung auf einem Blick 2020“ Anfang September. Auch die sozialen Folgen sind erheblich. Je jünger die Schülerinnen und Schüler, desto wichtiger ist der Sozialraum Schule für die persönliche Entwicklung. Der Schaden von Schulschließungen wird sich somit bei den Jüngsten besonders bemerkbar machen. Die Bildungsungerechtigkeit dürfte sich weiter verschärfen. Es droht eine „Generation Corona“.
Die schwerste Bildungskrise seit langem zeigt, wie wenig die vergangenen Jahre dafür genutzt wurden, um die Schulen resilient zu machen. Der Mangel an digitalen Lernmethoden ist ebenso eklatant wie die gesamte IT-Infrastruktur. Auf die Welt der Megatrends wie Globalisierung, Urbanisierung, Konnektivität und „New Work“ sind die wenigsten Schulen vorbereitet.
Die Schulen brauchen einen mehrfachen Aufbruch
Jetzt, nach der Sommerpause, ist der Zeitpunkt, um das Bildungssystem europaweit krisensicher zu machen. Dazu bedarf es eines Neustarts im Sinne eines mehrfachen Aufbruchs: digital, sozial, pädagogisch und föderal.
- Digital
Die Coronakrise und die damit einhergehenden Schulschließungen haben den Rückstand der allermeisten Schulen bei der digitalen Ausstattung offenbart. Nur wenige Schulen wussten, wie sie digitalen Unterricht gestalten können. Möglichst alle Schulen sollten in der Lage sein, digitale Lernplattformen für den Unterricht zu nutzen, auch weil jederzeit neue Schulschließungen drohen. Zwingende Bedingung ist die Weiterbildung der Lehrkräfte. Dafür braucht es niedrigschwellige Angebote.
- Sozial
Der Unterrichtsrückstand aufgrund der Schulschließungen in der Coronakrise ist enorm. „Lernen zu Hause“ fordert vor allem die Kinder, die aus sogenannten bildungsfernen und sozial weniger starken Familien kommen. Fachliche Unterstützung durch die Eltern ist hier schwieriger abzurufen. Damit Schulen in sozialen Brennpunkten vor Ort schnell und effektiv reagieren können, brauchen sie zusätzliche Mittel. Die Finanzierung sollte nach einem Sozialindex differenziert werden: Für Kinder aus weniger gut situierten Haushalten bekommen Schulen mehr Förderung.
- Pädagogisch
Nach Corona kommt es vor allem auf die Schulleitungen als Akteur an – als Manager der Krise wie Gestalter der „neuen Normalität“. Schulleitungen sind jedoch oft Führungskräfte ohne Ausbildung. Die Schulen brauchen ein Qualifizierungsprogramm für ihr Führungspersonal.
- Föderal
Es braucht mehr Zusammenarbeit zwischen der zentralen und lokalen Ebene. Es geht um beides: Leistung und Gleichwertigkeit. Das Ziel sollte eine möglichst hohe Autonomie der Schulen vor Ort sein bei gleichwertigen Abschlüssen.
Der Anspruch: Beste Bildung für Alle
„Beste Bildung für alle Kinder“ muss der Anspruch der Schulpolitik in Europa nach Corona sein. Die nächste Generation von Schulen und Schüler(inne)n braucht Wissen und Werkzeuge, um ihr Lernen und Leben selbst in die Hand zu nehmen. „Beste Bildung für alle“ und „personalisiertes Lernen für jeden Einzelnen“ sind kein Widerspruch. In den Schulen der Zukunft werden Lehrkräfte zu Trainer(inne)n und Coaches, Klassenzimmer zu Workshops und Schulen zu Kreativ-Laboren. Die Schule der Zukunft ist ein Ort für ganzheitliche Bildung. Aus dem Unterrichten von Fächern wird das Lernen in Teams. „Beste Bildung für alle Kinder“ geht nur über eine deutliche Verbesserung von Bildungszugang, Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit. Viele Schulen und Lehrkräfte haben die Krise mit Improvisationstalent und Mut für neue Wege gemeistert. Dieses Momentum muss jetzt genutzt werden, um die Schulen der Zukunft aufzubauen. Jetzt schlägt die Stunde der kreativen Veränderer.